/ EIN ORT DER HOFFNUNG

 

Über 427.000 Menschen leben in Sokoto, einer Stadt im Nordwesten Nigerias. Hier befindet sich ein ganz besonderer Ort: das Sokoto Noma Krankenhaus. Gegründet 1999, ist es das einzige Noma Krankenhaus des Landes - und eines der wenigen weltweit.

Das Krankenhaus ist ein Zufluchtsort für Kinder und Erwachsene, die diese schmerzhafte Krankheit überlebt haben und nun eine weitere Behandlung und rekonstruktive Operation benötigen. Wenn neue Patient*innen und ihre Familien durch die blau-weißen Krankenhaustüren gehen, kommen sie an einen sicheren Ort, an dem sie anderen Menschen begegnen können, die ebenfalls an Noma leiden und ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Außerdem erhalten sie hier eine kostenlose Gesundheitsversorgung.

Seit 2014 unterstützen wir das Krankenhaus durch Aktivitäten für Menschen, die von Noma betroffen sind, einschließlich Noma-Überlebenden und ihren Familien.

In enger Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Gesundheitsministerium besuchen wir Gemeinden und suchen aktiv nach Menschen, die sich mit Noma infiziert haben. Außerdem bieten wir gesundheitsfördernde Aktivitäten und Unterstützung im Bereich mentale Gesundheit an. Des Weiteren hilft ein Team aus nigerianischen und internationalen Chirurg*innen Menschen, die durch Noma entstellt wurden, indem sie ihnen rekonstruktive Operationen ermöglichen. Gemeinsam mit Anästhesist*innen und Pflegepersonal reisen sie viermal im Jahr nach Sokoto.

Die Behandlungsschritte sind anspruchsvoll und erfordern meist einen langen Krankenhausaufenthalt. Einige Kinder müssen zuerst wegen Mangelernährung oder anderen Krankheiten behandelt werden, welche mit der Entwicklung von Noma in Verbindung stehen. Erst dann kann die Operation durchgeführt werden.

Das Gefühl von Gemeinschaft im Krankenhaus ist groß. Die Tage auf der Station vergehen langsam; die Patient*innen kochen und singen mit dem Team für mentale Gesundheit, die Mütter plaudern über den Zustand ihrer Kinder, und die Menschen helfen sich gegenseitig dabei, herauszufinden, wie sie etwas Geld verdienen können, um ihre Familie zu Hause zu unterstützen. Nachdem sie dann endlich nach Hause gehen können, kommen die Patient*innen regelmäßig zu Nachuntersuchungen und zu weiteren Folgeoperationen zurück. Für diese Familien ist diese Reise zum Sokoto Noma Krankenhaus die wichtigste Reise ihres Lebens.

/ EINSATZAKTIVITÄTEN

Die Bedeutung der Aufklärungsarbeit

 

Im Nordwesten Nigerias sind Prävention und Aufklärung die beiden Eckpfeiler im Kampf gegen Noma. Der Großteil der Bevölkerung, vor allem in den entlegeneren Dörfern, kennt die Krankheit nicht und kann sie deshalb auch nicht erkennen. Unser Einsatzteam, bestehend aus Krankenpfleger*innen und Gesundheitsberater*innen, besucht jeden Tag Dörfer in den Bundesstaaten Sokoto, Kebbi und Zamfara. Sie informieren die Menschen vor Ort darüber, was Noma ist, und zeigen ihnen, wie sie Symptome erkennen können.

 
Das Einsatzteam verwendet Flyer und Poster, um das Bewusstsein in den Gemeinden zu schärfen. Sie erklären was Noma ist und wie man die Krankheit erkennt.
 

„Normalerweise versammelt das Dorfoberhaupt die Gemeindemitglieder und wir informieren mit Hilfe von Postern über die verschiedenen Stadien von Noma", erklärt Nura Abubakar, die Leiterin der Einsatzteams. „Die Kultur, Religion und Sprache der Region zu verstehen und mit den Ältesten zusammenzuarbeiten, ist für unsere Arbeit ausschlaggebend.“

Nuras Team informiert darüber, dass gute Zahnhygiene und Ernährung zwei wichtige Faktoren sind, durch die Noma vorgebeugt werden kann. Sie treffen sich mit Patient*innen, die ihre Behandlung noch nicht abgeschlossen haben, schauen nach Überlebenden, die die Behandlung erfolgreich beendet haben, und suchen nach neuen Patient*innen.

Nura hat 2014 begonnen, in unserem Noma-Projekt zu arbeiten und seitdem sei das Bewusstseins rund um Noma in den Gemeinden deutlich größer geworden: „Bevor wir mit unserem Programm begannen, wussten die Leute wirklich nichts über Noma. Aber jetzt können viele sogar die frühen Anzeichen erkennen, uns anrufen und dabei helfen, Patient*innen zu finden, um sie ins Krankenhaus zu bringen." Die frühzeitige Identifizierung von Patient*innen ist wichtig, da bei aktivem Noma die Sterblichkeitsrate hoch ist. Außerdem ist es einfacher und mit weniger Kosten verbunden, die Krankheit in einem frühen Stadium zu behandeln.

Das Einsatzteam fährt jeden Tag in die nahegelegenen Dörfer. Mit dabei: Flyer, die zeigen, wie man eine Noma Erkrankung erkennt. Sie informieren die Menschen über Symptome und Ursachen und fördern die Umsetzung von Hygienemaßnahmen. Außerdem erläutern die Teams die Bedeutung der Früherkennung und der Behandlungsmöglichkeiten.

 
 

/ MENTALE GESUNDHEIT

Lernen, das Stigma hinter sich zu lassen

 

Aufgrund ihrer Entstellungen im Gesicht isolieren sich einige Patient*innen von ihren Gemeinden, um nicht stigmatisiert zu werden. Nachbarn haben manchmal Angst, sich anzustecken oder sind von den Wunden, die in Form von Löchern in den Wangen oder dem Verlust von Kiefer, Nase oder Auge erscheinen können, verängstigt.

Wenn Patient*innen im Krankenhaus ankommen, bedecken viele ihr Gesicht mit Tüchern oder versuchen, es zu vermeiden, mit anderen zu sprechen. Manche Kinder leiden an Verhaltensauffälligkeiten, die mit häuslicher Isolation zusammenhängen.

Aber die Ankunft im Krankenhaus ist auch eine positive Erfahrung für die Patient*innen, da sie dort oft zum ersten Mal andere Menschen sehen, die auch von Noma betroffen sind. Das Team für mentale Gesundheit erfüllt deshalb eine Schlüsselrolle: Sie helfen unseren Patient*innen dabei, ihr Selbstwertgefühl wiederzuerlangen, ihre Gefühle auszudrücken und ihre Ängste zu überwinden.

 

Adebowale Murtala, Gesundheitsberater

Welches waren deine ersten Eindrücke im Krankenhaus?

Bevor ich anfing, 2016 hier im Krankenhaus zu arbeiten, hatte ich nur Bilder von Noma-Überlebenden gesehen. Ich konnte mir aber nicht wirklich vorstellen, wie es tatsächlich sein würde. Ich erinnere mich noch, wie ich mich an meinem ersten Tag den Patient*innen vorstellte und dachte: „Wer hat das diesen Kindern angetan?“

Ich hatte das Gefühl, dass irgendjemand, irgendwo, nicht das tat, was man tun sollte, um die Menschen über die Gefahren von Noma aufzuklären. Also erkläre ich bei jeder Gelegenheit den Patient*innen und anderen Menschen, die ins Krankenhaus kommen, welche Bedingungen das Risiko erhöhen, an Noma zu erkranken.

Eines der Hauptanliegen der Patient*innen und ihrer Betreuer*innen ist es, überhaupt Informationen über die Krankheit zu bekommen. Für viele Menschen ist es das erste Mal, dass sie eine andere Person mit Noma sehen. Sie sind verängstigt und brauchen oft jemanden, der sie ermutigt: Ich erzähle ihnen, dass ich seit 28 Monaten hier bin und in dieser Zeit hier niemand an Noma gestorben ist. So fangen sie an zu glauben, dass es ihnen besser gehen wird. Sie fangen an, uns zu vertrauen.

Was ist die größte Herausforderung für die Patient*innen?

Einem Kind macht Schmerz generell Angst. Erwachsene Patient*innen können mit den Schmerzen, die mit der rekonstruktiven Operation einhergehen, besser umgehen und vor allem verstehen sie, warum sie notwendig sind.

Für Erwachsene hingegen ist der lange Krankenhausaufenthalt schwierig. Sie müssen ihre Familien und ihre Verpflichtungen zurücklassen. Die meisten von ihnen sind Landwirt*innen und machen sich Sorgen, dass niemand zu Hause sein wird, um zu ernten oder ihre Tiere zu füttern.

 
Sie brauchen jemanden, der sie ermutigt. Ich erzähle ihnen dann, dass ich seit 28 Monaten hier bin und in dieser Zeit noch niemand an Noma gestorben ist.
 

Wie ermutigen die Berater*innen die erwachsenen Patient*innen sowie ihre Betreuenden, im Krankenhaus zu bleiben und die Behandlung zu beenden?

Wir besuchen die Patient*innen jeden Tag und lernen ihre persönliche Geschichte kennen. Die Menschen, die zu Hause Verantwortung tragen, unterstützen wir bei der Organisierung von Familienhilfe. Und wir ermutigen sie, sich mit ihren Angehörigen über ihre Gesundheit auszutauschen.

Zusätzlich bieten wir kreative Aktivitäten, wie zum Beispiel das Basteln von Spielzeug, an. Die Patient*innen können dann die hergestellten Spielsachen verkaufen. Gleichzeitig lernen sie eine neue Fähigkeit im Krankenhaus, die sie auch zukünftig anwenden können.

 

Was sind die wichtigsten Leistungen, die das Team im Krankenhaus anbietet?

Eine der wichtigsten Leistungen sind unsere Stimulationssitzungen für junge Patient*innen. Diese werden zweimal täglich durchgeführt und bestehen aus Übungen und Spielen, die den Kindern helfen sollen, besser mit den Schmerzen umzugehen.

Außerdem haben einige Kinder, die an Noma leiden, mangelnde kognitive Fähigkeiten, da sie aufgrund der Krankheit gemieden und damit isoliert werden. Dadurch findet wiederum keine ausreichende Sozialisierung statt. Während sie aber ihren Körper trainieren, entspannt sich ihr Geist und wir sehen ein Lächeln auf ihren Gesichtern.

Wir veranstalten auch ein- oder zweimal pro Woche traditionelle Kalebassen-Aufführungen. Die Kalebasse ist ein Kürbis, aus dem hier in der Region eine Trommel für Zeremonien hergestellt wird. Diese Aufführungen sind genereller Bestandteil des Alltags in der Region und bringen somit ein Gefühl der Normalität in das Leben der Patient*innen zurück. Das Gefühl einer Normalität hilft gleichzeitig auch, sich an Strukturen wie zum Beispiel Hygienemaßnahmen und Physiotherapie zu erinnern.

 
Die Patient*innen unterstützen sich gegenseitig während der Behandlung, insbesondere nach einer rekonstruktiven Operation. Das Team für mentale Gesundheit ermutigt sie dabei, indem es Zeichnungen und positive Botschaften an den Krankenhauswänden aufhängt.
 

Auf welche Art und Weise werden Noma-Überlebende stigmatisiert?

Stigmatisierung in der Gemeinde ist ein großes Problem für Noma-Überlebende, wobei es für Kinder und Erwachsene oft unterschiedlich ist. Ein Kind geht in die örtliche Schule oder auf den Markt und wird wegen seines Aussehens gemobbt. Trotzdem ändert es erfahrungsgemäß die eigenen Gewohnheiten nicht sehr stark.

Bei Erwachsenen verursacht dieses Mobbing jedoch oft ein geringes Selbstwertgefühl und hält sie davon ab, ihr tägliches Leben wie gewohnt weiterzuführen. Wenn Erwachsene, die von Noma gezeichnet sind, ins Krankenhaus kommen, sind sie oftmals schüchterner als Kinder.

 

Was gefällt dir am meisten an deiner Arbeit?

Ich fühle mich jedes Mal erfüllt, wenn ich sehe, dass Patient*innen für Folgetermine zurückkommen. Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn eine Person zu dir kommt, die seit 30 Jahren ihren Mund nicht öffnen kann - oder ein Baby mit extrem entstellenden Wunden, und diese Menschen nach einer Weile bei uns wieder lächeln und essen können? Das Schönste ist zu sehen, wie all die Bemühungen der verschiedenen Teams - einschließlich der Unterstützung der betreuenden Familie - ihnen wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

 
Oftmals sind die Patient*innen sehr schüchtern und sprechen kaum, wenn sie im Krankenhaus ankommen. Aber mit der Unterstützung unserer Kolleg*innen fangen sie langsam an, Fragen über ihren Zustand zu stellen und gleichzeitig ihre Ängste zu teilen.
 

Gibt es eine Person, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, ein sechsjähriges Mädchen, das mit seiner Großmutter ins Krankenhaus kam. Während einer unserer Sitzungen fragte ich die Großmutter, ob sie denn bleiben würde, bis es dem Mädchen besser ginge. Sie antwortete: „Natürlich werde ich bleiben.”

Sie erzählte mir, dass die Eltern ihr das Mädchen überließen, als es Noma bekam. Sie hat daraufhin jeden Tag Maden aus dem Gesicht des Mädchens entfernte, diese getötet und dabei geweint. Sie sagte: „Wenn ich sie damals nicht verlassen habe, wie könnte ich sie denn jetzt verlassen?“ Dem Mädchen geht es jetzt viel besser und sie hat nur noch eine Operation vor sich. Ich hoffe wirklich, dass die beiden auch für den nächsten Eingriff wieder ins Krankenhaus kommen.

 
Bei jeder Gelegenheit erkläre ich den Patient*innen und allen anderen Menschen, die ins Krankenhaus kommen, welche Bedingungen das Risiko erhöhen, an Noma zu erkranken.

/ REKOSTRUKTIVE CHIRURGIE

Der Traum von einem neuen Gesicht

 

Viermal im Jahr kommt ein Team von hochqualifizierten Plastischen- und Kiefer-Chirurg*innen, Anästhesist*innen sowie Pfleger*innen aus der ganzen Welt ins Sokoto Noma Krankenhaus in Nigeria. Sie haben ein klares Ziel: lebensverändernde rekonstruktive Operationen für Noma-Überlebende durchführen.

Bei einem Screening untersuchen die Chirurg*innen, ob sie direkt operieren können, oder ob eine Patient*in erst in drei Monaten wiederkommen muss.
Ein Team von internationalen Plastischen- und Kiefer-Chirurg*innen, Anästhesist*innen sowie Pfleger*innen führt viermal im Jahr rekonstruktive Operationen in der Klinik durch.
 

Die meisten Patient*innen warten schon seit Monaten auf eine Operation. Sie begrüßen das Ärzt*innenteam mit einer Mischung aus Freude, Nervosität und Angst. Niemand will das Krankenhaus wieder verlassen, ohne sich einer Operation unterzogen zu haben. Sie hoffen, dadurch wieder ein normales Leben führen zu können.

Die Chirurg*innen und Anästhesist*innen prüfen die Wunden und den allgemeinen Gesundheitszustand der Patient*innen. Somit können sie beurteilen, ob sie direkt operieren können oder ob die Person lieber auf das nächste Operationsteam in drei Monaten warten soll.

Sobald die Ärzt*innen beginnen zu operieren, ist die Aufregung im ganzen Krankenhaus zu spüren. Der Tag, auf den die Patient*innen so lange gewartet haben, ist endlich da. Auch wenn ihre Genesung lange dauern wird: die Aussicht, nach Hause gehen zu können, fühlt sich endlich real an. Das ist ein unheimlich guter Grund, sich zu freuen.

Im Operationssaal verbringt das Team oft mehrere Stunden damit, die komplizierteren Fälle zu operieren. Hat eine Person z.B. einen zusätzlichen Trismus - eine durch Noma verursachte Kieferfehlstellung, die das Öffnen des Kiefers verhindert – ist eine mehrstündige Operation und eine lange Erholungsphase auf der postoperativen Station erforderlich.

In der „Zeit des Eingriffs“ im Sokoto Krankenhaus warten besorgte Eltern darauf, ihr Kind aus der Operation kommen zu sehen. Das Krankenhaus ist voller Aktivität, denn ein Team von Chirurg*innen tut sein Bestes, um ihren Patient*innen einen lange gehegten Wunsch zu erfüllen: die Chance, ihr Leben wieder aufzunehmen.

Nach der rekonstruktiven Operation werden die Patient*innen in den Aufwachraum gebracht. Dort sorgt das Personal dafür, dass sie geschützt aufwachen können.

Fußnoten: Zeichnungen & Infografiken von Chloé Fournier / Fotos & Videos von Claire Jeantet & Fabrice Caterini © Inediz – Alle Rechte vorbehalten