/ SURVIVING NOMA

EIN KURZER DOKUMENTARFILM FÜR MEHR AUFMERKSAMKEIT

 
 

Dieser Kurzfilm wurde 2020 für das erste „Health for All“ Film Festival, das von der Weltgesundheitsorganisation organisiert wird, ausgewählt. Er ist auf YouTube verfügbar, auch zur Einbindung auf externen Webseiten geeignet und mit Untertiteln in neun Sprachen verfügbar: Arabisch, Chinesisch, Tschechisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Koreanisch, Russisch und Spanisch.

/ HADIZA

Sieben Jahre für ein neues Gesicht

 

„Ich rief immer wieder an, um zu fragen, ob die ausländischen Ärzt*innen, von denen sie im Radio gesprochen haben, tatsächlich nach Sokoto kommen würden, um Menschen wie mich zu operieren. Man sagte mir, man wisse kein genaues Datum. Daher beschloss ich, einfach zur Klinik zu gehen. Glücklicherweise kam das medizinische Team kurz darauf dort an. Ich sagte ihnen, ich würde ohne meine Operation nicht wieder gehen. Ich hatte schon zu lange darauf gewartet.”

Wenn du an Noma leidest, starren dich die Menschen definitiv an. Selbst der eigene Bruder wird dich ablehnen.

Hadiza, 40 Jahre.

Die vierzigjährige Hadiza hat diese Beharrlichkeit von ihrem Vater gelernt. Als sie als kleines Kind an Noma erkrankte, brachte er sie von einem Krankenhaus ins nächste. Sie reisten beinahe durch den ganzen Nordwesten Nigerias, um ein Heilmittel für sie zu finden. Das einzige Leben, an das sich Hadiza erinnert, ist ein Leben mit Noma.

Nachdem sie das Sokoto Noma Krankenhaus entdeckt hatte, musste sie trotzdem noch sieben Jahre warten. Erst bei ihrem dritten Besuch im Krankenhaus bekam sie endlich die lang ersehnte Operation - die erste von insgesamt drei. „In meiner Stadt gab es sonst niemanden mit dieser Erkrankung, aber im Krankenhaus wurde mir klar, dass ich nicht die Einzige auf der Welt war", sagt sie.

„Wenn du an Noma leidest, werden dich die Menschen definitiv anstarren. Selbst der eigene Bruder wird dich ablehnen. Aber ich sage den Menschen, die Noma haben: sie sollen Geduld haben, auch wenn die Leute über sie lachen. Noma ist eine Krankheit, die geheilt werden kann." Hadiza sagt, dass sie heute eine glückliche Frau ist: „Natürlich bin ich nicht mehr genau gleich wie früher, aber ich wurde endlich behandelt.“

 

Wenn man neben jemandem sitzt, bemerkt man deren Gesichtsausdruck und dass sie denken: ,Oh, sie ist doch kein Mensch!’

Fatima, 25 Jahre.
 
 

Wenn man neben jemandem sitzt, bemerkt man deren Gesichtsausdruck und dass sie denken: ,Oh, sie ist doch kein Mensch!’

Fatima, 25 Jahre.
 

/ FATIMA UND DAHIRU

Zwei Leben durch Noma verbunden

 

Ein Einsatzteam des Sokoto Noma Krankenhauses fand Dahiru in einem Dorf im nigerianischen Bundesstaat Niger. Er war noch ein Teenager. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und unterzog sich mehreren Operationen, um die entstellenden Wunden in seinem Gesicht zu behandeln.

Dahiru verbringt weiterhin viel Zeit in der Klinik: Heute ist er Teil des Reinigungsteams und kümmert sich auch um die Autos der Mitarbeitenden. Außerdem arbeitet er noch auf einem Bauernhof am Rande von Sokoto.

 
 

Fatima kam 1999 als fünfjährige ins Krankenhaus. Sie blieb dort wochenlang allein - ohne ihre Familie - bis sie operiert werden konnte. In den nächsten Jahren kehrte sie mehrmals zurück, um sich weiteren Folgeoperationen zu unterziehen und Nachsorge zu erhalten. Sie hatte die Hoffnung, eines Tages zu heiraten. Wenn man unter Noma leidet, kann es allerdings sehr schwierig sein, einen Partner zu finden.

„Gesunde Menschen heiraten viel früher und die kranken bleiben zurück. Für Menschen wie uns ist es schwierig, einen Partner zu finden. So ist das eben“, sagt Fatima. „Wenn man neben jemandem sitzt, bemerkt man deren Gesichtsausdruck und dass sie sich denken: ‚Oh, sie ist doch kein Mensch!‘“

Nachdem sich Dahiru und Fatima im Noma Krankenhaus kennengelernt hatten, lebte das Paar gemeinsam in einer abgelegenen Gegend. Das Haus wirkte schon fast wie getarnt in der trockenen, ockerfarbenen Landschaft. Dort verbrachte Fatima ihre Tage in Einsamkeit. Nur gelegentlichen Besuche von ihren Nachbar*innen und deren Kindern brachten Abwechslung. Sie liebte Kinder und kochte oft für sie - Gerichte aus der traditionellen Küche der Hausa Ethnie.

Fatima starb im März 2018 bei der Geburt ihrer Zwillinge. Die Kinder überlebten zum Glück. In den Monaten vor ihrem Tod fühlte sie sich sehr schwach und selbst die einfachsten Aufgaben fielen ihr extrem schwer.

Weder Fatima noch Dahiru sprachen gerne über Noma, obwohl die Krankheit jeden Aspekt ihres Lebens beeinflusste. Fatimas und Dahirus Aufnahmeunterlagen sind noch immer im Krankenhausarchiv zu finden: Sie waren nur zwei Kinder, die von der gleichen Krankheit betroffen waren.

Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat Dahiru drei Jobs: Bauer, Autowäscher und Reinigungskraft im Sokoto Noma Krankenhaus.
Ein Foto von der fünfjährigen Fatima, als sie 1999 im Sokoto Noma Krankenhaus ankam.
Fatima verbrachte die meisten Tage mit traditionellem Kunsthandwerk. Die fertigen Werke verkaufte sie auf dem Markt.
Fatima starb während der Entbindung, sechs Monate nachdem dieses Foto aufgenommen wurde.

/ Yaashe

Die lange Reise von Borno nach Sokoto

 

Yaashe ist sechs Jahre alt und ist mit ihrer Mutter, Yagana, und ihren zwei Geschwistern, Fatima und Falmata, nach Sokoto gekommen. Die Familie kommt aus dem Bundesstaat Borno, der über 1.000 km von Sokoto entfernt liegt. Nachdem ihr Zuhause von Boko Haram angegriffen wurde, flüchteten sie in ein Camp in Maiduguri, der Hauptstadt von Borno. Bewaffnete Männer haben ihren Vater getötet. Yagana lag neben ihrem Mann, als er starb.

Sie floh mit ihren fünf Kindern und fand Schutz in Maiduguri. Zwei Monate später infizierte sich Yaashee mit Noma und einer unserer Ärzte überwies sie in das Sokoto Noma Krankenhaus.

 
Yaashe war ein gesundes und glückliches Mädchen. Doch plötzlich bekam sie Fieber und nach nur drei Tagen bildete sich ein Loch in ihrem Gesicht.

Yagana, Yaashes Mutter.

 

„Sobald es Yaashe besser geht, werden wir nach Maiduguri zurückgehen” sagt Yagana. „Dort warten noch zwei meiner anderen Kinder auf uns. Die Stadt ist zwar voller Menschen, die auch geflohen sind, aber zurück nach Hause können wir nicht. Zuhause gibt es keinen Frieden. Boko Haram beherrscht noch immer die Stadt.“

 
Als Yaashe mit ihrer Familie nach Sokoto kam, fühlten sie sich isoliert, da sie die lokale Sprache nicht sprechen. Psychosoziale Betreuer*innen halfen ihnen dabei, sich besser zurechtzufinden.
 

Die kleine Yaashe wurde sechs Monate nach ihrer Ankunft endlich operiert. Es ist der erste von mehreren Eingriffen, die sie aufgrund der Schwere ihrer Krankheit braucht.

„Als ich sie nach ihrer Operation sah, dankte ich Gott. Ich liebe sie sehr. Sie ist nach meiner Mutter benannt, die zur gleichen Zeit starb, als Yaashe krank wurde.”


Ich dachte, ich sei der Einzige mit dieser Krankheit. Doch dann kam ich ins Krankenhaus und sah andere in der gleichen Situation. Das war eine Erleichterung.

Bilya, 20 Jahre.

Ich dachte, ich sei der Einzige mit dieser Krankheit. Doch dann kam ich ins Krankenhaus und sah andere in der gleichen Situation. Das war eine Erleichterung.

Bilya, 20 Jahre.

/ BILYA

Einsatz für Noma-Prävention

 

In nur wenigen Wochen zerstörte Noma Bilyas Nase und Oberlippe. Niemand in seiner Stadt wusste, was er hatte. „Ich erkrankte an Noma, als ich erst ein Jahr alt war. Manche Leute rannten weg, wenn sie mein Gesicht sahen. Sie haben mich nicht als Menschen gesehen.”

Eines Tages, als er sich nach der Schule sein Mittagessen auf dem Markt in Sokoto kaufte, kam ein Mann auf ihn zu. Er erzählte ihm von einem Krankenhaus, in dem Menschen mit seiner Erkrankung behandelt werden. „Ich dachte, ich sei der Einzige mit dieser Krankheit, doch dann kam ich ins Krankenhaus und sah andere in der gleichen Situation. Das war eine Erleichterung.“ Kurz nach seinem 20. Geburtstag, nach seiner ersten Operation, kehrte Bilya in seine Heimatstadt zurück. Seine Mutter und seine drei Brüder erkannten ihn nicht wieder. „Meine Mutter weinte, weil ich wieder eine Nase habe.”

Bilya plant, nach der nächsten Regenzeit zu heiraten. Jetzt hat er erstmal einen neuen Job, der ihm Spaß macht: die Menschen in seiner Heimat über Noma zu informieren, damit sie einen Fall erkennen können, wenn sie ihn sehen. „Wenn das Zahnfleisch eines kleinen Kindes rot geworden ist, sollten sie es zur Behandlung ins Krankenhaus schicken. Ich habe Bilder verteilt, damit die Menschen besser verstehen können, was genau Noma ist.”

Bilya im Gespräch mit Samuel Joseph, unserem leitenden Krankenpfleger im Sokoto Noma Krankenhaus, am Tag bevor er zum ersten Mal operiert wird. Bilya vermisste sein Zuhause und sein älterer Bruder war während des gesamten Prozesses an seiner Seite.
Bilya wartete fast vier Jahre auf seine erste Operation.
Bilya, zwei Tage nach seiner ersten Operation, auf der postoperativen Station. Er wird ein paar Wochen im Krankenhaus bleiben müssen, um Infektionen und Komplikationen zu vermeiden.
Nach einer Woche auf der postoperativen Station, wurden die Verbände entfernt und er begann, sich mit den anderen Patient*innen zu unterhalten.

/ UMAR

Noma, eine Krankheit, die die ganze Familie betrifft

 
Sein Wangenknochen infizierte sich und die Krankheit breitete sich schließlich bis zu seinem Auge aus. Er konnte nicht einmal mehr mit den anderen Kindern spielen.

Zakariyau, Umars Onkel.

Umar liegt am Tag nach seiner Operation im Bett und hat Schmerzen. Er versucht sie aber tapfer zu vergessen, wenn er mit einer kleinen Spielzeuggitarre spielt, die ihm einer unserer Betreuer gegeben hat. Sein Auge war durch Noma leider zu sehr geschädigt, um es erhalten zu können, aber die Chirurg*innen konnten die Wunden in seinem Gesicht schließen.

Umar ist acht Jahre alt und ein ruhiger Junge, der oft allein spielt. Sein 18-jähriger Onkel Zakariyau begleitet ihn im Krankenhaus. Er versucht Umar, der durch Noma sein halbes Gesicht verloren hat, zu unterstützen, wo er nur kann. „Es begann vor einem Jahr, als Umar Zahnschmerzen hatte. Er bekam erst traditionelle Medizin, aber dann entzündete sich sein Wangenknochen. Schließlich breitete sich die Krankheit bis zu seinem Auge aus. Er konnte nicht einmal mehr mit anderen Kindern spielen”, sagt Zakariyau.

Umars Vater, der jeden Tag anruft, kümmerte sich bei seinem ersten Krankenhausaufenthalt um ihn. Doch dieses Mal konnte er nicht mitkommen, denn es ist Erntezeit. Auch Umars Mutter war voll beschäftigt: Sie hat gerade ein kleines Mädchen zu Hause entbunden.

Der achtjährige Umar erholt sich auf der postoperativen Station im Krankenhaus. Er wird dort vier bis sechs Wochen bleiben, um Infektionen oder andere Komplikationen zu vermeiden.
Ein Jahr nach seiner ersten Operation sind Umars Wunden fast geschlossen. Wenige Tage nach diesem Bild wurde er erneut operiert.

Fußnoten: Zeichnungen & Infografiken von Chloé Fournier / Fotos & Videos von Claire Jeantet & Fabrice Caterini © Inediz – Alle Rechte vorbehalten